Alfred Kerr: „Wo liegt Berlin?“
Vortrag von Dr. Marlies Obier und Werner Stettner
„Ich sehe zurück. Ich war ein Kritiker“ setzte Alfred Kerr (1867-1948) seinen 1917 erschienenen „Gesammelten Schriften“ voran. Jahrzehnte seines Lebens schrieb er täglich für Zeitungen und Zeitschriften. Er hatte aus der Kritik der Literatur eine eigene Kunst gemacht: „die Kritik muss selber ein Kunstwerk sein“. Alfred Kerrs Sprache war unverwechselbar und sein Blick war genau.
Als sehr junger Mann von Breslau nach Berlin kommend, hatte er sich dort bald als Theaterkritiker einen Namen gemacht. Gerhart Hauptmann und Henrik Ibsen, und später Ernst Toller waren für ihn die wichtigsten Dramatiker ihrer Epoche. Das Wilhelminische Deutschland und die Weimarer Republik waren die beiden Zeiten, in denen er schreibend lebte, bis er 1933 als bekannter Gegner der Nationalsozialisten und als Jude sofort aus Deutschland fliehen musste. Seine Schriften wurden bei der „Bücherverbrennung“ im Mai 1933 auf dem Berliner Opernplatz verbrannt. Aus seinem Exil in London erhob er seine Stimme weiter gegen den Nationalsozialismus. Der achtzigjährige Alfred Kerr kehrte 1948 auf Einladung der britischen Behörden noch einmal zu einer Vortragsreise in das befreite und zerstörte Deutschland zurück. Am gleichen Abend nach seinem Flug in Hamburg ankommend, besuchte er, wie immer und früher in seinem Leben, das Theater und erlitt während der Vorstellung einen schweren Schlaganfall, an dessen Folgen er aus eigenem Willen starb.
„Wo liegt Berlin?“ ist der Titel der Sammlung seiner „Briefe aus der Reichshauptstadt 1895-1900“. Sie sind frisch, klug und humorvoll. Beginnend im Monat Januar 1895 und im Winter der vergangenen Literatur schreitet noch der alte Herr Fontane mit dickem Schal durch die Straßen Berlins. Der Kaiser hat keine Freude an dem baldigen Frühling der neuen naturalistischen Literatur, aber Alfred Kerr!
Eine Veranstaltung der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Siegerland e. V. anlässlich der Woche der Brüderlichkeit unter dem Motto „Öffnet Tore der Gerechtigkeit! Freiheit macht Verantwortung“ im Rahmen der Ausstellung „Viktor Naimark und Sascha Neroslavsky: Continuous“ in der Städtischen Galerie Haus Seel.
